Buchbesprechung: Benedict Wells - Die Geschichten in uns
Über das Schreiben, die Rückschläge und das Weitermachen
Bücher über das Schreiben gibt es viele und vermutlich habe ich die meisten im Regal stehen. Bei dem Versuch Geschichten zu entwickeln, habe ich Zweifel, Rückschläge und Motivationslöcher erlebt. Aber auch Freude bei gelungenen Textstellen. Alle die Romane oder Kurzgeschichten schreiben kennen das. Man stellt sich die Frage: Warum mache ich das überhaupt?
Hier beginnt Benedict Wells mit einer sehr persönlichen Schilderung seiner Kindheit und Jugend. Was ihm schon als Jugendlicher klar war: Er will Schriftsteller werden. Seine familiäre Situation war für einen heranwachsenden sehr problematisch: Die Mutter manisch-depressiv und der Vater in der Insolvenz. Wells verbrachte seine Schulzeit bis zum Abitur im Heim.
Der Wunsch Autor zu werden war so stark, dass er nach dem Abitur mit 120€ in der Tasche nach Berlin zog, diverse Jobs annahm und zu schreiben begann. Studieren kam nicht in Frage, es dominierte der unbedingte Wunsch Schriftsteller zu werden.
Autoreninfo Benedict Wells
Geb. 1984 in München als Benedict von Schirach
Wohnort aktuell: Zürich
Werke (Auszug): Hard Land, Vom Ende der Einsamkeit, Fast genial
Preise (Auszug): Deutscher Jugendliteraturpreis, Literaturpreis der EU, Bayerischer Kunstförderpreis
Wells erzählt von seinen Schreibanfängen und der meist vernichtenden Kritik seiner Testleser. Doch bei allem Selbstzweifel und Rückschlägen ist er drangeblieben. Das hat sich, wie man sieht, am Ende ausgezahlt.
Vielleicht liegt hier die Quintessenz des Buches: Dran bleiben, Rückschläge und Hindernisse - weitermachen!
Doch neben der Entwicklungsgeschichte als Autor handelt der weit größere Teil des Buchs vom Schreibprozess selbst. Um diesen Vorgang zu schildern nimmt Wells Aussagen von berühmten Schriftstellern und verdeutlicht diese, anhand von Beispielen aus deren und seinen eigenen Texten.
Benedict Wells stellt einen Werkzeugkasten für Autoren vor, in dem er so ziemlich alle Aspekte des Schreibens behandelt. Von der richtigen Sprache, Charaktere im Plot, Erzählperspektive, Spannung, Dialoge bis hin zum Verdichten von Geschichten gibt es konkrete Tipps für das Schreiben und Überarbeiten von Texten.
Am Ende nimmt er die eigenen Texte und zeigt, wie diese anhand der vorgestellten Werkzeuge verbessert werden können. Das war für mich eines der interessantesten Kapitel.
Im Vergleich zu anderen Schreibratgebern fällt auf, dass konkret gezeigt wird, warum manche Textstellen nicht funktionieren und wie man diese überarbeitet. Ich habe selbst häufig die Bücher von Doris Dörrie, J.N. Frey, Larry Beinhart und weiteren genutzt, wenn ich nicht weiterkam. Allerdings macht es keinen Spaß, einen Stapel Schreibratgeber auf dem Tisch zu lagern und diese auf der Suche nach Inspiration immer wieder durchzulesen.
Das Buch von Benedict Wells wird für mich als Nachschlagewerk auf dem Tisch verweilen. Es ist meiner Ansicht nach ein sehr gelungenes und motivierendes Werk. Möchte ich etwas über die Erzählperspektive erfahren, dann gehe ich auf Seite 252 und bekomme eine gute Darstellung anhand eines seiner eigenen Texte. Gezeigt wird, warum die erste Perspektive nicht funktionierte und warum er die Erzählperspektive geändert hat.
Henning Mankel hat in einem Interview mal gesagt, wenn er anfängt zu schreiben, dann weiß er von der ersten bis zur letzten Seite genau was dort stehen wird. Diese Gabe habe ich leider nicht (ich glaube Mankel hat auch etwas übertrieben).
Das bringt uns zu dem Punkt, für wen das Buch geeignet ist: Wie ich schon erwähnte, ist “die Geschichten in uns” ein sehr motivierendes Buch. Wenn ihr also in einer Schreibkrise oder Motivationskrise seid, kann es euch helfen wieder neue Ideen zu entwickeln.
Wenn man ein kompaktes Nachschlagewerk mit vielen Tipps und konkreten Beispielen möchte, dann ist man mit dem Werk auch gut bedient.
Ewige Gültigkeit über den kreativen Prozess hat natürlich die oft zitierte Aussage von Samuel Becket:
"Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better."
Lesende Grüße
Reiner
P.S. Finger weg von den vielen Schreibratgebern im Selbstverlag unbekannter Autoren, die man z.B. bei Amazon findet. Benedict Wells empfiehlt selbst Stephen King: Das Leben und das Schreiben.