Eine Seefahrt die ist - nicht - lustig. Die Abwandlung des alten Seefahrerliedes sei mir erlaubt und passt gut zu “Der Untergang der Wager” von David Grann. Denn das, was die Besatzung des Schiffes auf ihrer Reise in den Pazifik erlebte, kann man nur als blanken Horror bezeichnen. Von Seefahrer-Romantik kann man zu keinem Zeitpunkt der Reise sprechen.
Grund für die Fahrt der HMS Wager war der Konflikt zwischen England und Spanien, ausgelöst durch das abgeschnittene Ohr des englischen Kapitäns Robert Jenkins. Das spanische Segelschiff La Isabella stoppte Jenkins Boot 1731 und durchsuchte es nach Schmuggelware. Anschließend ließ man Jenkins an einen Mast binden und schnitt ihm das Ohr ab.
Jenkins beschwerte sich daraufhin bei König George II, allerdings ohne großen Erfolg. Erst sieben Jahre später, unterstützt von einer stark anti-spanisch geprägten Stimmung in England wurde der Fall vor dem Unterhaus in London besprochen. Zusammen mit den vorhandenen imperialistischen Bestrebungen, Neid auf die Reichtümer die Spanien aus Südamerika nach Europa importierte, wurde der Krieg (1739 - 1748) ausgerufen.
Im Zuge des Krieges wurde die HMS Wager, ein ehemaliges Handelsschiff der East India Company, das zu einem Kriegsschiff umgebaut wurde, mit sechs weiteren Schiffen in den Pazifik entsandt, um dort das reich beladene Schiff der Spanier abzufangen und zu entern. Alle Schiffe standen unter dem Kommando von Kommodore Lord George Anson. Die Wager wurde von Kapitän Kidd befehligt, der aber während der Reise verstarb. Nachfolger wurde David Cheap, der bis zum bitteren Ende der Geschichte eine der handelnden Hauptpersonen war.
David Grann geht bei der Schilderung chronologisch vor. Er bespricht die Herkunft und Ausbildung, sowie die Motivation der Hauptpersonen, an der Reise teilzunehmen. Die damalige Hierarchie innerhalb der Navy sowie Aspekte des Schiffsbaus werden im Laufe der Geschichte immer wieder thematisiert.
Besonders erschütternd fand ich den Aspekt der Rekrutierung der Mannschaften des Flottenverbandes. Ein Großteil der Männer und sogar Kinder wurde unter Zwang zur Mitfahrt verpflichtet oder einfach festgenommen und auf die Schiffe verbracht. Eine Reise um das Kap Hoorn war damals keine besonders vielversprechende Aussicht das Abenteuer zu überleben und mit Gewinn zurückzukehren. Viele flohen vor Abfahrt der Schiffe wieder von Bord.
Die Reise selbst war geprägt von Skorbut, Fleckfieber, Hunger, Ratten, Ungeziefer und permanenter Angst vor der spanischen Armada unter Don Jose Pizarro, die den sechs Schiffen auf der Fährte war.
Eindrücklich schildert Grann die Nöte der Seeleute. Man fühlt sich regelrecht auf die HMS Wager versetzt und leidet mit der Mannschaft. Verschärft wurde die Situation durch die Umrundung des Kap Hoorn mit extremen Stürmen, Wellen und der Ungewissheit, wo man eigentlich genau war, denn mit exakter Navigation war es damals nicht weit her.
Nachdem die Wager auf einer Pazifik Insel gestrandet war, nahmen die Spannungen und Konflikte in der Mannschaft zu. David Grann erzählt hier eine wahre Geschichte von Mut, Ehre, Feigheit, Verzweiflung und der Notwendigkeit sich entscheiden zu müssen.
Ich will hier keine weiteren Details über die Geschichte verraten. Mich hat sowohl der Schreibstil von David Grann (Übrigens auch der Autor von “Killers of the Flower Moon” - verfilmt von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio) als auch die Geschichte selbst in den Bann gezogen und das Buch zu einem Page Turner gemacht.
Als Leser habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie würde ich reagieren, wenn extreme Not, Hunger, Tod und Heimkehr von meinem Mut, meiner Loyalität und meiner Opferbereitschaft abhängt? Was bedeutet es an Regeln (der damaligen Royal Navy) festzuhalten, wenn diese die Situation nicht verbessern?
Ich mag Seefahrer Geschichten. Schon Moby Dick von Herman Melville habe ich inzwischen mehrfach gelesen. Ebenso die Schatzinsel von Stevenson und natürlich Jules Verne mit 20.000 Meilen unter dem Meer. Das Buch von David Grann ist der Versuch, die Geschichte der Wager realistisch aufzuarbeiten. Dies gelingt ihm nicht weniger spannend als die erwähnten Bücher von Melville und Stevenson.
Beim Lesen von “Der Untergang der Wager” erfährt man viel über die Seefahrt zur damaligen Zeit, über die Drake Straße und die Magellan Straße. Außerdem habe ich gelernt, warum Seefahrer “Teerjacken” oder “Limey” genannt wurden. Kleiner Einschub: Ich habe mich immer gefragt, warum Steven Soderbergh seinen Film mit Terence Stamp und Peter Fonda “The Limey” betitelt hat - jetzt weiß ich es. Was politischer und wirtschaftlicher Imperialismus, sowie nationale Überheblichkeit anrichtet, wird ebenfalls geschildert.
Der Bericht über die anschließende juristische Aufarbeitung der Strandung der Wager und die Fragen nach der Schuld, gemäß den Regeln der Royal Navy in London, fand ich hoch interessant. David Grann hat alle wichtigen Stellen im Buch mit Bemerkungen und ausführlichen Quellenangaben belegt.
Wer sollte das Sachbuch lesen? Es richtet sich an alle die Seefahrergeschichten mögen, an geschichtsinteressierte Menschen sowieso und an LeserInnen, die mal abseits von Thrillern, Krimis (wobei auch Verrat, Betrug, Mord und Totschlag vorkommt) und dergleichen, eine spannende Zeit mit neuen Erkenntnissen verbringen möchten.
“Der Untergang der Wager” von David Grann bekommt von mir eine klare Empfehlung! Wie ist eure Meinung zum Buch?
Lesende Grüße
Reiner
*Bilder im Newsletter stammen aus den Wikipedia Commons und sind Public Domain
**Bilder sind KI-generiert