Wie lebt man, wenn man weiß, dass die eigenen Tage gezählt sind? Savianos wichtigstes Buch seit "Gomorrah" erzählt das Leben des größten Mafiajägers der Geschichte. Nicht nur als Richter, sondern auch als Ehemann, als Bruder, als Freund. Mit seinem Geldwäsche-Gesetz forderte Falcone die Mafia heraus. Als er am 25. Mai 1992 mit seiner Frau unterwegs zum Wochenendhaus ist, sprengt die Mafia sie mitsamt einem Stück Autobahn in die Luft. Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte Italiens und Europas. Saviano, der seit Jahren unter Polizeischutz lebt, zeigt anhand von Falcones Geschichte wie demokratische Strukturen ausgehöhlt werden und wie durch Zivilcourage die Welt verändert werden kann.
Verlag Carl Hanser, 544 Seiten
Die Mafia ist das zentrale Thema in Roberto Savianos journalistischer und literarischer Tätigkeit. In vielen Romanen und Artikeln hat er ihre Strukturen, Verflechtungen in Gesellschaft und Politik sowie ihre Auswirkungen auf die Menschen analysiert und beschrieben.
Das bekannteste Buch ist “Gomorrha” von 2006, in dem er die Zustände in seiner Heimatstadt Neapel und die mafiösen Verwicklungen beschreibt. Seitdem lebt er unter Polizeischutz. Das ist etwas, das er mit Giovanni Falcone aus seinem aktuellen Roman gemein hat. Auch Falcone lebte unter ständigem Polizeischutz und dem weitestgehenden Verlust der Privatsphäre.
Saviano beschreibt in “Falcone” das Leben und Wirken von Giovanni Falcone und seinen Kampf gegen die Cosa Nostra und ihre Mitglieder, die sogenannten “Ehrenmänner” auf Sizilien. Dabei beginnt der Roman in den 80er Jahren, in denen Falcone als Untersuchungsrichter in Neapel arbeitet. Dort baute er eine Kommission zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens auf, welche 1968 zum sog. Maxi-Prozess mit 475 Angeklagten führte.
Der Gerichtsprozess wurde in einem eigens errichteten Bunker im Gefängnis von Palermo durchgeführt, der angeblich sogar einem Raketenbeschuss standhalten konnte. Am Ende der Verhandlungen, die über 21 Monate dauerten, gab es 349 Sitzungen, 1829 Stunden Dauer insgesamt und eine Anhörung von über 900 Zeugen und Geschädigten. 1314 Vernehmungen, 635 Plädoyers der Verteidigung, 1265 Prozessakten.
Insgesamt betrugen die Gefängnisstrafen 2665 Jahre, es gab 114 Freisprüche. Lebenslängliche Haftstrafen gab es für 19, schuldig gesprochen wurden 346 Angeklagte.
Erwartbar war natürlich, dass die Cosa Nostra die Verurteilungen nicht einfach so hinnehmen würde. Das war Falcone bewusst:
»Giovà, das hier ist ein Staffellauf geworden. Jeder läuft eine Strecke, überreicht die Papiere dem Nächsten und stirbt. Verstehst du diesen Wahnsinn?«
Wie wäre es, wenn er jetzt sterben würde? Das bedeutet: Wer würde ihm als Erster zu Hilfe kommen? Wer würde das erste Foto von der Leiche schießen? In welcher Position würde er am Boden zusammenbrechen?
Saviano beschreibt die Gefühlslage von Falcone, seiner Frau Francesca und seinen beruflichen Wegbegleitern. Ein Leben im Bewusstsein, dass man auf der Abschussliste der Mafia ganz oben steht. Die Szenen und Gespräche zwischen den Beteiligten sind fiktiv. Allerdings hat sich Roberto Saviano mit der Familie Falcones besprochen, um ein stimmiges und authentisches Bild des Richters zu zeigen. Er schildert Falcone als Menschen und Ehemann, nicht nur als “Mafiajäger”.
Man erfährt im Roman, wie befreundete Kollegen Falcones von der Cosa Nostra brutal ermordet werden, selbst ein Kind wird durch einen Schuss getötet. Die Widerstände und Intrigen kommen aber auch aus den eigenen Reihen, dem obersten Richterrat und der Politik. Saviano zeigt die Betroffenheit von Falcone sehr direkt und intensiv.
Der Roman entwickelt einen Spannungsbogen, der sich kontinuierlich bis zum bekannten Anschlag auf Giovanni Falcone und seine Frau Francesca zieht. Am 23. Mai 1992 starb Falcone bei einem Bombenattentat auf der A29 bei Palermo. Die Mafia hatte einen Sprengkörper mit 500 kg TNT platziert und ferngesteuert gezündet. Trotz der Panzerung des Fiat Croma starb er noch vor Ort. Seine Frau Francesca erlag später im Krankenhaus ihren Verletzungen. Ich kann mich noch an die Eindrücke erinnern, als ich 1992 im Fernsehen die Bilder der durch die Bombe völlig zerstörten Autobahn gesehen habe (die Bilder sind heute noch online).
Robert Saviano hat das Buch als Thriller konzipiert. Man ist bei der Lektüre über die Brutalität der Mafia erschüttert, gleichzeitig bewundert man Falcone und seine Kollegen für das Opfer, das sie bringen.
Ich habe damals die Fernsehserie zu “Gomorrha” gesehen, welche weltweit sehr großen Erfolg hatte. Erstaunt und erschrocken war ich, als ich las, dass Jugendliche in Italien den Kleidungsstil und die Frisuren der Mafiadarsteller kopierten.
Gelesen hatte ich bisher nur den Gesprächsband von Saviano und Giovanni di Lorenzo “Erklär mir Italien”, den ich sehr empfehlen kann. Nach “Falcone” stelle ich fest, dass Roberto Saviano ein richtig guter Erzähler und Schriftsteller ist!
Ich empfehle das Buch allen, die sich für Italien, die Mafia und für die realen Lebensgeschichten von Menschen interessieren, denen der Tod permanent über die Schulter schaut. Ein beeindruckender Roman.
Als Italien letztes Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war, soll der italienische Staat Roberto Saviano (bewusst?) nicht zum Teil der Delegation gemacht haben. Er kam trotzdem: auf Einladung vom Hanser Verlag – und äußerte sich auf einem Panel Talk vor Ort über die Verquickung von Mafia und italienischem Staat. (Aiaiaiai.)
Als Italien letztes Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war, soll der italienische Staat Roberto Saviano (bewusst?) nicht zum Teil der Delegation gemacht haben. Er kam trotzdem: auf Einladung vom Hanser Verlag – und äußerte sich auf einem Panel Talk vor Ort über die Verquickung von Mafia und italienischem Staat. (Aiaiaiai.)